Arbeiterkinder in der Wissenschaft: Unsere Erfahrungswerte und Tipps für alle, die als Erste:r promovieren (möchten)

Sep 1 / Anika Werner & Katja Urbatsch

Wir wissen: Die Entscheidung für oder wider einer Promotion ist genauso an die soziale Herkunft gekoppelt wie die Studienentscheidung. Dies zeigt sich auch daran, dass gerade mal 2 von 100 Studierenden ohne akademische Vorbilder nach ihrem Studium promovieren. Dabei sind die Perspektiven und Lebensrealitäten von Studierenden der ersten Generation für die Wissenschaft von entscheidender Bedeutung, da sie einzigartige Einsichten und Erfahrungen mitbringen, die oft von traditionellen akademischen Narrativen abweichen. 

Erstakademiker:innen sind häufig mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, zum Beispiel in Bezug auf soziale, finanzielle oder kulturelle Aspekte, die ihre Bildungswege prägen. Ihre Sichtweisen können dazu beitragen, bestehende Bildungsstrukturen zu hinterfragen und zu verbessern, indem sie auf Ungleichheiten hinweisen und innovative Lösungsansätze entwickeln. Zudem fördern sie die Diversität in der akademischen Diskussion, was zu umfassenderen Forschungsmethoden und -ergebnissen führt. Das Einbeziehen ihrer Stimmen ist somit unerlässlich, um eine gerechtere und inklusivere Wissenschaftslandschaft zu schaffen.

Tatsächlich können sich viele Erstakademiker:innen durchaus vorstellen, nach dem erfolgreichen Studium in der Wissenschaft zu bleiben. Gleichzeitig sehen sie sich häufig mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. Hier eine Auswahl an Erfahrungen aus der ArbeiterKind.de- Community:

“Meine Familie findet, ich sollte endlich arbeiten gehen und Geld verdienen!” 

Gerade in Familien, in denen noch niemand studiert hat, trifft der Wunsch nach dem Studienabschluss sich einen Doktortitel erarbeiten zu wollen, oft auf Unverständnis und Skepsis. Das liegt auch daran, dass Familien ohne Hochschulerfahrungen oft Schwierigkeiten haben, Kompetenzen, Zukunftsperspektive uvm. von Promotionsinteressierten richtig einzuschätzen. Dies kann mehrere Gründe haben:

  • Mangelnde Erfahrung mit akademischen Konzepten: Personen aus nicht akademischen Familien sind häufig nicht mit den Anforderungen einer Promotion vertraut - woher auch? Sie haben zuteil Schwierigkeiten damit, die Verantwortung, die Forschungsarbeit und den Zeitaufwand zu verstehen, die mit einer Promotion verbunden sind.
  • Unzureichende Informationen: Oft fehlen Informationen über Fördermöglichkeiten, Stipendien oder die verschiedenen Wege, die zu einer Promotion führen können. Dies führt oftmals dazu, dass Familienmitglieder nicht in der Lage sind, bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen oder realistische Erwartungen zu setzen. 
  • Wertschätzung anderer Kompetenzen: In vielen Fällen sind Fähigkeiten, Errungenschaften und Erfahrungen im akademischen Kontext weniger sichtbar oder anerkannt.  Dadurch ist es für die Familie schwierig, die relevanten Kompetenzen für eine Promotion richtig zu beurteilen.
  • Sicht auf den Mehrwert: Oft hat gerade in nicht-akademischen Familien die Hochschulbildung nicht den gleichen Stellenwert wie eine berufliche Ausbildung, was zu unterschiedlichen Perspektiven und Einschätzungen auf die Bedeutung einer Promotion führen kann. Auch wird oft der Fokus auf praktische Berufe gelegt, die sofortiges Einkommen und Sicherheit bieten. Der lange Weg zu einem Doktortitel wird als überflüssig oder riskant angesehen. Des Weiteren fehlen meist auch die notwendigen Informationen über den Wert eines Doktortitels und die Karrieremöglichkeiten, die sich daraus ergeben. Dies führt häufig zu Fehleinschätzungen über die Notwendigkeit und den Nutzen einer akademischen Laufbahn.
„Manchmal fühlt es sich an, als würde die Zeit in einer endlosen Schleife wiederkehren – schon wieder kämpfe ich! Die Finanzierung meines Studiums war schon schwierig und die Finanzierung einer Promotion erscheint mir wie ein neuer Berg, den ich erklimmen muss.”
Eine der größten Herausforderungen für Erstakademiker:innen ist die Finanzierung ihrer Promotion, da viele nicht auf die finanzielle Unterstützung ihrer Familie bauen können. Wie bereits im Studium müssen viele von ihnen neben der Promotion arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Auch fehlt häufig das Wissen um Stipendien und weitere Fördermöglichkeiten. Leider reichen diese oft auch nicht aus, um die gesamten Kosten zu decken. Und der finanzielle Druck, der mit einem langen Studium und möglicherweise eingeschränkten Einkünften während der Promotionszeit verbunden ist, führt ebenfalls zu Bedenken. Auch Familienmitglieder machen sich häufig Sorgen darüber, dass die Promovierenden in dieser Zeit nicht genug Geld verdienen, um für sich selbst oder die Familie zu sorgen und raten deshalb von einer Promotion ab. 
„Es ist, als ob alle Promovierenden um mich herum einen klaren Plan haben, während ich im Nebel tappe und nicht weiß wer oder was mir helfen kann!”
Ein wissenschaftliches und berufliches Netzwerk ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg in der akademischen Welt. Da Erstakademiker:innen häufig nicht auf die gleichen Netzwerke wie ihre Kommilitonen, deren Familien bereits Erfahrung im akademischen Umfeld haben, zugreifen können, ist es auf der individuellen Ebene wichtig, dass Promotionsinteressierte sich ein tragfähiges und unterstützendes Netzwerk aufbauen, um zum Beispiel über ausgeschriebene Stellen, Stipendien, nützliche Konferenzen oder spannende Veröffentlichungen zu erfahren. 
„In der Stille der Bibliotheken kämpfe ich nicht nur mit Worten und Theorien, sondern auch mit dem Zweifel an mir selbst und der Frage: Gehöre ich hierher?”
Ein weiteres Hindernis auf dem Weg zu einer erfolgreichen Promotion ist das Gefühl der Ent-fremdung, das viele Erstakademiker:innen empfinden. In einer Umgebung, die oft von Privilegien geprägt ist, fühlen sie sich wie im Studium oft fehl am Platz. Erfahrungsgemäß sind Erstakademik-er:innen, sobald sie mit der Promotion beginnen, sehr wahrscheinlich primär von Menschen umgeben sind, deren Eltern einen Hochschulabschluss haben, von denen viele promoviert sind. Aufgrund dieser Tatsache kann sich die Arbeit an einer Promotion für Erstakademiker:innen ziemlich isolierend anfühlen. So leiden viele während ihrer Doktorarbeit unter einem Mangel an Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Sprache und Auftreten. 

Was hilft beim Überwinden der genannten Hindernisse? 

Für die Vielfalt in der Wissenschaft ist es wichtig, dass sich mehr Erstakademiker:innen trauen, eine Promotion in Erwägung zu ziehen. Wie bei der Entscheidung für ein Studium braucht es dazu umfassende Informationen rund um den gesamten Promotionsprozess, insbesondere der Finanzierungsmöglichkeiten, sodass Interessierte eine informierte Entscheidung für oder gegen einen Weg in die Wissenschaft treffen können. Darüber hinaus sind erfahrungsgemäß Doktorandinnen und Doktoranden der ersten Generation oft auch stärker durch die institutionellen Unsicherheiten der akademischen Karriere - wie Finanzierung oder auch künftige Arbeitsplatzsicherheit- gestresst, auch da braucht es Aufklärung und Entlastung. Nattürlich hilft auch strukturelle Unterstützung beim Zugang zu Netzwerken, bei der Kontaktaufnahme mit Professor:innen und Fachleuten aus der Branche, so dass Erstakademiker:innen Fuß fassen können und unterstützenden Ansprech-partner:innen an ihrer Seite haben.

Was aus unserer Sicht alle, die als Erste in ihrer Familie studiert haben und sich einen Doktortitel erarbeiten möchten - oder schon dabei sind - wissen sollten:

  • Durch einen erfolgreich abgeschlossenen Master bist du qualifiziert und hast es dir verdient und erarbeitet, promovieren zu können, wenn du möchtest! 
  • Von deiner harten Arbeit, deiner Zielstrebigkeit, deinem Durchhaltevermögen und deinem Zeitmanagement, dass du dir als Erstakademiker:in während deines Studiums angeeignet hast, wirst du auch in deiner Promotion maßgeblich profitieren können. 
  • Die Zukunftsforschung hat herausgefunden, dass die wichtigste Eigenschaft für ein erfolgreiches Leben in der Zukunft Resilienz ist – eine Eigenschaft, die die meisten Studierenden der ersten Generation von Tag eins an in ihrem Studium entwickeln.
  • Für viele Studierende der ersten Generation sind die Promotionsjahre mit gesicherter Finanzierung oft die einfachsten Jahre ihrer akademischen Ausbildung.
  • Eine Welt voller Krisen, Pandemien, sozialer und politischer Umbrüche lebt von einer Wissenschaft, die nicht nur im Elfenbeinturm agiert, sondern der breiten Öffentlichkeit in einer für alle leicht verständlichen Sprache vermittelt wird. Wissenschaftler:in der ersten Generation haben die einzigartige Fähigkeit, zwischen der akademischen und der nicht-akademischen Welt zu wechseln und zu vermitteln, da sie schon über einen langen Zeitraum zwischen ihren Arbeiterfamilien und der akademischen Welt gewechselt sind.
Uns fällt besonders oft auf, dass Erstakademiker:innen nicht klar ist, wie viele Stärken und Kompetenzen sie aufgrund ihres Bildungsweges und ihrer Erfahrungen in der akademischen Welt mitbringen, geschweige denn diese proaktiv und selbstbewusst aussprechen.   
Dabei ist es so wichtig, dass Promotionsinteressierte ihre eigenen Stärken erkennen und schätzen, da die Reflexion der eigenen Fähigkeiten und Erfahrungen nachhaltig ihr Selbstbewusstsein stärkt und dabei hilft, die eigene Identität im akademischen Kontext zu festigen. Um genau hierbei zu unterstützen, laden wir euch sehr herzlich zu dem Workshop “Als Erste:r erfolgreich promovieren - gestärkt Herausforderungen meistern und Chancen nutzenam 17.9.24 von 18-20 Uhr ein. In diesem 2-stündigen Workshop wollen wir den Herausforderungen entgegentreten, indem wir auf der strukturellen Ebene die Herausforderungen und Chancen einer Promotion andiskutieren, einen Blick auf die individuellen Stärken der teilnehmenden Dokotorand:innen werfen und die TOP 3 Tipps rund um den Aufbau und das Nutzen eines unterstützenden und tragfähigen Netzwerkes teilen, um anhaltende Unterstützung in der Promotion zu sichern. 

Workshop: “Als Erste:r erfolgreich promovieren - gestärkt Herausforderungen meistern und Chancen nutzen” 

Last but not least: Aus unserer Erfahrung öffnet vor allem der persönliche Austausch mit Menschen, die als Erste:r sich einen Doktortitel bereits erarbeitet haben, neue Perspektiven und macht Mut. Dies - und noch mehr bietet - die ArbeiterKind.de-Community für Studien- und Promotionsinteressierte. Ganz konkret bieten wir: 
  • einen regelmäßigen, virtuellen Promotionsstammtisch 
Wer wir sind: ArbeiterKind.de ist die größte deutsche gemeinnützige Organisation für alle, die als Erste in ihrer Familie studieren. Unsere Community ermutigt Schülerinnen und Schüler aus nichtakademischen Familien zum Studium und unterstützt sie von der Studienorientierung bis zum Studienabschluss und darüber hinaus. Seit sechzehn Jahren ermutigen wir gemeinsam mit unseren Ehrenamtlichen an bundesweit 80 Standorten in ganz Deutschland zum Studium. Wir führen vor allem Infoveranstaltungen in Schulen und an Hochschulen durch, geben unsere persönlichen Erfahrungen weiter, zeigen Bildungsperspektiven auf und machen als authentische Vorbilder Mut zu Studium oder auch einer Promotion.
Weitere Informationen findest du auf www.arbeiterkind.de

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Es gibt eine gute Nachricht: was manchmal ganz und gar unmöglich erscheint, nämlich produktiv zu schreiben —  trotz Wissenschaftsalltag — das geht. Es geht wirklich. Aber: Es geht nicht von allein. Und es geht auch nicht so gut allein. Hier schreiben die drei Schreibcoaches zu Themen rund um eine neue Wissenschaftskultur, dem Thema Online-Coworking und nachhaltigen Produktivitätsroutinen. 

Viel Spaß und guten Flow!

Ingrid Scherübl, Wiebke Vogelaar & Katja Günther

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Es gibt eine gute Nachricht: was manchmal ganz und gar unmöglich erscheint, nämlich produktiv zu schreiben — trotz Wissenschaftsalltag — das geht. Es geht wirklich. Aber: Es geht nicht von allein. Und es geht auch nicht so gut allein. In akademischen Kontexten gibt es leider selten ein wirklich empowerndes Miteinander. Ja, das haben wir selbst schon mitbekommen und am eigenen Leib erfahren. Sich während Habilitation oder Promotion als Einzelkämpfer:in zu fühlen, ist alles andere als bekömmlich und noch weniger förderlich.

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